Technik - Testberichte


Vergleichstest Mittelklasse-Chopper
Wir sind so frei
Wann ist ein Mann ein Mann? Vier reifere Herren mit der Honda VT 600 C Shadow, der Kawasaki EN 500, der Suzuki LS 650 Savage und der Yamaha XV 535 Virago auf der Suche nach der Freiheit auf zwei Rädern.
Von Michael Schäfer; Fotos: Achim Hartmann
Die Kinder sind aus dem Gröbsten raus, das Haus ist gebaut, der Job ist sicher. Da kann ein Mann doch auch mal wieder an die Träume seiner Jugend denken: An einen schweren Chopper und Freunde, auf die man sich verlassen kann. An endlose Straßen und abendliche Ritte, dem Sonnenuntergang entgegen. Choppern? Die Freiheit nehm' ich mir.
Aber 25 000 Mark für die neue Freiheit? Da wird die Angetraute auch nicht der Hinweis überzeugen, daß er im Sommer mit dem Motorrad zur Arbeit fahren könnte und ihr dafür das Auto zur Verfügung bleibt.
Doch es muß ja nicht gleich einer für 25 Riesen sein. Schon zwischen knapp 9000 und 12 700 Mark ist ein anständiger Chopper zu haben. Mit der Honda VT 600 C Shadow, der Kawasaki EN 500, der Suzuki LS 650 Savage und der Yamaha XV 535 S Virago kann der chopperwillige (Wieder-)Einsteiger in dieser Preisklasse einen Glücksgriff tun.
Aber eins ist klar: Einen Chopper kaufen neun von zehn Fahrern nicht mit dem Kopf, sondern mit Bauch und Augen. Motto: Erlaubt ist, was gefällt. Das Eigentümliche an Choppern ist nur, daß bei ihnen weniger in der Regel mehr ist, sprich: Der pure Chopper erfreut seinen Besitzer durch die Kunst des Weglassens.
Am perfektesten beherrscht diese Kunst die Suzuki LS 650. So erfreut die kleine Savage - die "Wilde" - mit der schnörkellosesten Technik: ein mächtiger, senkrechter Zylinder, eine obenliegende Nockenwelle - die aber immerhin vier Ventile betätigt -, Fünfganggetriebe, Zahnriemen, lange, flache Gabel, kurze Federbeine und Blech und Lack nur da, wo sie hingehören. Das Schöne ist, daß dieser Purismus sich auch im Preis niederschlägt. Für noch nicht einmal 9000 Mark mit Nebenkosten hat die LS 650 nicht nur das Chopper-Reinheitsgebot auf ihrer Seite, sondern auch deren erste Ableitung: Weniger ist mehr - und kostet weniger.
Für etwa 2000 Mark Mehrkosten bieten die neue Kawasaki EN 500 und die Yamaha XV 535 - in der "S"-Version - schon erheblich mehr Technik. Der durch zusätzliche Kühlrippen-Attrappen aufgewertete Zweizylinder-V-Motor der XV 535 zum Beispiel trägt ganz erheblich zum erwachsenen Eindruck bei, den diese Maschine hinterläßt. Dazu ist sie immer noch die preiswerteste Kardan-Maschine auf dem deutschen Markt. Und zwei Benzintanks sowie eine Reserve, die über einen Schalter an der rechten Lenkerarmatur betätigt wird, findet man sonst kaum. Eine Menge barocken Chroms und Blenden, Kunststoff, Blech und Puschel sind im Preis allerdings ebenfalls enthalten - was der Beliebtheit des in den letzten Jahren hierzulande meistverkauften Motorrads aber keinen Abbruch tut.
Klassisch nüchtern stellt sich dagegen das Fahrwerk der gleich teuren EN 500 dar. Während die alte EN 500 noch viele frühe Japan-Softchopper-Attribute aufwies, ähneln Fahrwerk und Anbauteile der neuen EN 500 (Einzeltest in MOTORRAD, Heft 11/1996) stark der Suzuki LS 650. Der überarbeitete Zweizylinder - bekannt aus der GPZ 500 S und KLE-500 - allerdings steht dazu in krassem Gegensatz. Trotz einiger Chromzugaben hat das glattflächige, wassergekühlte High-Tech-Triebwerk den Charme einer Waschmaschine.
Die homogene Synthese anspruchsvoller Technik und klarer, klassischer Aufmachung gelingt dagegen Hondas VT 600 C Shadow. Wenn man die großen Softail-Harley nicht als das Vorbild der 600er Shadow kennt, muß man fast annehmen, sie ist selbst eines. Und das, obwohl auch ihr Motor ursprünglich in einer Straßenmaschine und einer Enduro - VT 500 E und 600 Transalp - Verwendung fand.
Als 52-Grad-V2 schon von vorneherein besser für einen klassischen Chopperantrieb geeignet, hat Honda sich bei der Umarbeitung dieses Triebwerks dennoch viel Mühe gegeben. Der Hubzapfenversatz der Kurbelwelle, der sonst für einen vibrationsarmen Motorlauf sorgen sollte, wurde hier zugunsten eines einzigen Hubzapfens aufgegeben - der nun für angenehm massierende Schwingungen sorgt. Und die feinverrippten Wasserkühlmäntel lassen die tatsächliche Wasserkühlung des Motors beinahe vergessen.
Daß Honda der eigenen Tradition zufolge auch noch die eine oder andere Kunststoff-Blende verbauen mußte und der Tacho sich frühjapanisch an die Gabelbrücke klammert anstatt sich spätklassisch in den Tank zu integrieren, sieht man Hondas gelungener Synthese dafür gerne nach. Doch der Charme der Shadow hat ihren Preis: 12 710 Mark einschließlich Nebenkosten legen sich fast schon wieder wie ein Schatten über das eigene Konto.
Ergonomie ist, wenn man trotzdem sitzt: Und auf der Suzuki LS 650 Savage sind Großgewachsene eindeutig im Nachteil. Für Fahrer über 1,70 Meter ist eine vorverlegte Fußrastenanlage ein unbedingtes Muß, der Sitz liegt mördermäßig tief über dem Asphalt. Und weil die Sitzkuhle und die Griffe des Serienlenkers aufgrund der geringen Fahrzeuggröße eng zueinanderrücken, kann nur ein flacher "T-Bar"-Lenker der "Hund-macht-Männchen"-Haltung größerer Savage-Fahrer abhelfen. Als "Harley des kleinen Mannes" aber ist die LS 650 unschlagbar - wurde sie doch ursprünglich speziell für kompakter gebaute japanische Chopperfahrer konstruiert.
Auf der XV 535 dagegen stellt sich beim ersten Aufsitzen die Frage: Ist das überhaupt ein Chopper? Ihr Arrangement von Lenker, Fußrasten und Fahrersitz ergibt für den Fahrer die gleiche Sitzhaltung wie auf einem klassischen, ganz normalen Motorrad - allerdings verbunden mit einer extrem niedrigen Sitzhöhe. Genau das ist's, was den Erfolg der XV 535 ausmacht: das eigentlich normale, aber durch die niedrige Sitzfläche leicht beherrschbare (Wieder)-Einsteiger-Motorrad.
Die Paßform der EN 500 und VT 600 C trifft das Chopper-Ideal wie die berühmte Faust das Auge. Wie hingegossen räkeln ihre Fahrer sich in ihren Sitzkuhlen, die Beine vorgestreckt, die Arme desgleichen. Von dem beengten Gefühl, das noch die alte EN 500 auszeichnete, ist bei der neuen nicht mehr die geringste Spur. Der gute Sozius-Komfort, der die alte EN 500 entgegen allem Brauch unter Choppern bisher auszeichnete, ist jedoch unwiederbringlich dahin. Wer mit der neuen eine Ausfahrt machen will, fährt, wenn er seinen Partner liebt, wie auf allen anderen Choppern auch: allein.
Vor den einsamen Genuß der Pulsschläge der Ein- und Zweizylinder haben die Ingenieure die Suche nach dem Zündschloß gesetzt. Erfindungsreich am Rahmen versteckt, erlauben - oder erzwingen, je nachdem - alle vier Fabrikate dadurch den Einsatz der fizzeligen Neimann-Lenkerschlösser zur Fahrzeug-Verriegelung. Ganz klassisch auch die Lokation der Choke-Hebel: Am Vergaser, wie in guter, alter Zeit. Startprobleme gehören heute dagegen der Vergangenheit an, und aus fünf Schalldämpfern entweicht ein gedämpftes, aber erfrischend trockenes Ballern in die Luft. Nur Fünf? Nicht aus sieben: drei Doppelrohr-Anlagen und dem einsamen Stummel der LS 650? Nein - das Yamaha-Doppelrohr entläßt eher ein gepreßtes Zwitschern in die Welt, das wiederum eher zu einem Tourenmotorrad als einem Chopper passen will.
Im Reigen der "Klassiker" LS 650 und VT 600 C hält die neue Kawasaki akustisch erstaunlich gut mit. Und wie sich's für einen echten Chopper gehört, tummelt sich das Drehmoment aller drei Motoren tief unten in den Drehzahl-Kellern. Aber trocken ballern können andere; Der Virago-Fahrer freut sich auch so an seinem guten Durchzug. Ein sattes "Klack" aus dem Getriebe dagegen gehört bei allen vier zum guten Chopperton.
Mit 31 bis 46 PS ist die Spanne der Motorleistungen beachtlich. Um so beachtlicher, daß die Fahrleistungen - bei einem Chopper ohnehin sekundär - nur wenig differieren. Selbst die LS 650 als Schwächste geht mit maximal 139 km/h schon schnell genug. Und die 150 bis fast 160 km/h der stärkeren Probanden fährt auf einem Chopper niemand mehr auch nur mit einem Anflug von Vergnügen. Das Landstraßentempo pendelt sich immer schnell bei etwa 80 bis 90 Stundenkilometern ein - US-Biker wissen schon, warum sie bei ihrem 55 Meilen-Limit - 88 km/h - so gerne Chopper fahren.
So brummt und summt die Gruppe nicht nur lustvoll, sondern auch noch sparsam durch den Tag. Mit 4,5 und 4,7 Litern Normalbenzin sind die EN 500 und die XV 535 aber immer noch durstiger als die LS 650 und die VT 600 C, die bei dieser Gangart pro 100 Kilometer gerade vier Liter der kostbaren, brennbaren Flüssigkeit aus ihren Reservoirs nippen. Bei konstant 130 km/h dagegen ist die Kawasaki die Sparsamste, während die XV 535 sich als Durstigste mit 7,4 Litern einen ganzen Liter mehr genehmigt.
Die sparsame Betulichkeit soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß man mit einem Chopper auch ganz schön flott choppern kann. Warum auch nicht? 31 bis 46 PS treiben auch 80 Prozent aller Enduros vorwärts - und deren Qualitäten als Landstraßenräuber sind unter Motorradfahrern bekannt Und viel schlechter als gewöhnliche Enduro-Bremsen sind die der vier Chopper auch nicht - Standard-Mix: Scheibe vorn, Trommel hinten. Die Honda und die Kawasaki haben hier gegenüber der Yamaha und vor allem der Suzuki allerdings einige Vorteile. Die Yamaha wiederum besitzt die größte Schräglagenfreiheit und Handlichkeit von allen, während Honda, Kawasaki und die - von ihrem geringeren Gewicht im Handling etwas bevorteilte - Suzuki in einträchtiger, weitschwingender Formation um die Ecken funken. Die klappbaren Fußrasten als Kratz-Indikatoren sorgen immerhin dafür, das nicht aus jedem Funkenflug ein Abflug wird.
Daß aber Chopperfahrwerke immer kurze Federwege, harte Federn und eine schwache Dämpfung aufweisen - na, irgend etwas muß sie doch von anderen Motorrädern unterscheiden. Und daß hier die Honda Shadow noch die beste Abstimmung besitzt, gefolgt von der Kawasaki EN 500, dann der hinten bockeligen Yamaha Virago und der Suzuki Savage als das rauhe, aber herzliche Schlußlicht - na, irgend einen Grund muß der höchste Preis der Honda ja schließlich haben.
Also: Im Grunde ist auch in der Preisklasse von 9000 bis 12 600 Mark alles zu haben, was das Männerherz von einem Chopper nur wollen kann. Das einzige, worauf Mann dann noch achten muß, wenn er seine Angebetete zum Kauf eines Choppers hat überreden können, sind die Schlüssel: Denn auch Frauen fahren gern Motorrad - und vielleicht hat er ja plötzlich den Sommer über das Auto zur Verfügung, während sie zusammen mit ein paar Freundinnen auf ihren Choppern die Freiheit auf zwei Rädern sucht.
````ern die Freiheit auf zwei Rädern sucht. ````